Ein weiteres Jahr Krieg in der Ukraine, ein weiteres Jahr mit zigtausenden Toten auf ukrainischer wie russischer Seite. Unvorstellbar, unerträglich und eigentlich kaum auszuhalten. Doch zwischen der Angst vor einem Atomkrieg und der Hoffnung auf Friedensverhandlungen macht sich in Deutschland auch eine Art Gewöhnung breit.
Der Winter ist so gut wie überstanden, keine befürchteten Massenunruhen, Geflüchtete aus der Ukraine finden weiterhin Schutz und treffen zum Glück meist auf ein Herzliches Willkommen. So weit, so gut.
Doch gut ist eigentlich gar nichts. Der Krieg tobt weiter, gestorben wird jeden Tag. Doch wie diesen Wahnsinn beenden?
Der Krieg in der Ukraine ist ein russischer Angriffskrieg, alle Versuche der russischen Propaganda ihn als eine Art Notwehr darzustellen sind nicht glaubhaft. Auch die Chronik der Ereignisse sollte selbst die treuesten Putin-Versteher:innen eigentlich stutzig machen. Angefangen von Putins Lügen in den Tagen und Wochen vor dem Kriegsausbruch („nur ein Manöver“), über wechselnde Kriegsziele bis hin zu „Begründungen“ die selbst in sich bizarr erscheinen. Doch wie das bei Schwurbler:innen so ist: da wird relativiert, Vergleiche hinken und stolpern – und am Ende ist die Erde eine Scheibe.
Doch der weit überwiegende Teil der in Deutschland Lebenden sieht den Krieg als das, was er ist: ein brutaler Überfall auf einen souveränen Staat.
Auch wenn Krieg und Gewalt die Menschheit begleiten, ist die Sehnsucht nach Frieden größer. Zuviel Krieg würde nicht gut ausgehen. Über die Wege zum Frieden wird freilich (ebenfalls) gestritten. Der unsere westliche Politik und Medienwelt bestimmende Weg ist es, die Ukraine durch Waffenlieferungen soweit zu unterstützen, dass Russland sein Vorhaben aufgibt, und sich vollständig aus der Ukraine zurückzieht. Sinnlos war dieser Krieg schon immer, falls Russland das aber nicht versteht muss es „in die Knie gezwungen werden“.
Als Kriegsdienstverweigerer und „Lumpenpazifist“ bereitet mir diese Logik heftige Bauchschmerzen. Die Veteranen des Zweiten Weltkrieges leben noch, und deutsche Waffen werden wieder gegen Russland eingesetzt. Eine Schande!
Und dennoch: Auch wenn ich persönlich aus Gewissensgründen niemals eine Waffe in die Hand nehmen würde, ist es das Recht der Ukraine sich gegen einen militärischen Angriff zu verteidigen. Und dafür braucht es Waffen.
Doch wo sind „Frieden schaffen, ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ hin? Die große deutsche Friedensbewegung Anfang der 1980er-Jahre war weniger durch DKP-Trüppchen unterwandert, sondern zum großen Teil auch von den Kirchen getragen. Kirchentage in Hamburg und Düsseldorf wurden zu Friedensdemonstrationen, keine große Demo ohne gläubige Redner:innen, und in der DDR boten ebenfalls die Kirchen Raum sich zaghaft von den Militärdoktrinen des kalten Krieges zu lösen.
Und so verwundert es nicht, unter den Erstunterzeichner:innen des „Manifest für Frieden“ auch die Theolog:innen Margot Käßmann, Dr. Antje Vollmer und Eugen Drewermann zu finden. Über weite Teile liest sich die Liste wie ein „Who-Is-Who“ der Bewegung von vor 40 Jahren. Dr. Franz Alt ist ebenso dabei wie Reinhard Mey und Oskar Lafontaine – wer von „damals“ nicht unterschrieben hat, ist vermutlich verstorben. Und dennoch: Über 600.000 haben das Manifest bereits unterzeichnet. Findet hier eine Sehnsucht nach einem Erstarken einer relevanten Friedensbewegung einen berechtigten Grund zur Hoffnung?
Das Manifest ist kurz, noch kürzer zusammengefasst:
Jetzt Frieden verhandeln, sonst Atomkrieg.
Gerade wenn mensch den Ängsten und Sorgen um eine Eskalation in großen Teilen der Bevölkerung Rechnung tragen will (und muß!), ist dieses Manifest eine Enttäuschung. Es schürt eher Ängste, als dass es Lösungsansätze bietet. Die einzige Idee – über Frieden zu verhandeln – ist seit Anbeginn des Krieges auf dem Tisch. Verschiedenste Initiativen wurden ergriffen, bislang leider erfolglos. Warum gab es bislang keine ernsthaften Friedensverhandlungen? Hier weiss das Manifest eine Antwort:
„Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“
Frieden scheitert also an der Angst der Ukraine kapitulieren zu müssen. Wie dumm von der Ukraine! Besser einfach Kompromisse machen!
„Ich habe Dir nix getan, Du überfällst mein Land? Als Kompromiss bekommst Du dafür … – bitteschön.“
Noch dreister kurz zuvor im Manifest die Demaskierung Selenskyjs:
„Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“
Selenskyj verteidigt nicht mehr sein Land, sondern er führt einen Krieg gegen Russland um es zu besiegen. Und da ist sie wieder, die Täter-Opfer-Umkehr, freilich nicht wörtlich auffindbar, aber zwischen den Zeilen bleibt hängen: Die Ukraine ist selbst schuld, dass ihre Bürger:innen sterben.
Auch sonst ist der Text schwach, für ein „Manifest“ wenig packend und bisweilen flapsig. Da wird doch – im Ernst – im dümmsten Teenie-Sprech die Formulierung „Im Ernst?“ benutzt.
Doch im Kern der Sache geht es weder um Russland noch um die Ukraine. Dem Manifest geht es um die Kriegsangst bei uns – in Deutschland. Am deutlichsten wird dies in einem Satz gegen Ende des Textes:
„[…] wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.“
Die Angst ist legitim, doch das Ansinnen von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht wirkt populistisch wie egoistisch. Kein Wunder, dass das Manifest auch in rechten Kreisen Anklang findet.
Die Blauäugigkeit mancher mit dem Umgang des Manifestes wundert mich. Das Duo Schwarzer/Wagenknecht löst bereits Skepsis aus, aber spätestens bei Mit-Erstunterzeichnenden wie Dr. Peter Gauweiler und Dr. Jürgen Todenhöfer sollte mensch tunlichst die Finger davon lassen. Mir zumindest wäre es peinlich.
Doch wohin mit unserer Friedenssehnsucht zwischen neudeutscher Kriegsrhetorik und populistischen Putin-Versteher:innen? Muss denn die Zeitenwende wirklich nur mehr Waffen bedeuten?
Wer unsere Nachrichten verfolgt, muss in der Tat den Eindruck haben, dass neben den Sanktionen überwiegend auf die militärische Karte gesetzt wird. Zwar bieten sich immer mal wieder selbst ernannte Friedensvermittler an, doch oft steckt dahinter weniger ein ernsthaftes Anliegen, sondern eher eigenes Profilierungsbemühen oder versteckte Unterstützung einer der beiden Kriegsparteien. Im Übrigen auch ein Fehler des Manifestes: es richtet sich an Bundeskanzler Scholz. Scholz soll Waffenlieferungen stoppen und sich an die „Spitze“ für Friedensverhandlungen setzen. Dabei ist die Positionierung der Bundesregierung klar: auf Seite der Ukraine. Teile der Regierung sehen sich gar bereits selbst im Krieg mit Russland, da ist eine „neutrale“ Vermittlerrolle schwer vorstellbar.
Die Sanktionen scheinen nur zum geringen Teil ihren Zweck zu erfüllen. Kriegsgerät und Munition sind offensichtlich weiterhin genügend vorhanden. Jeder Monat den dieser Krieg länger dauert, ist nicht nur ein „ermutigendes“ Signal im Sinne einer Unbesiegbarkeit der Ukraine, sondern eben auch für Russland ein Monat Zeitgewinn sich auf die Sanktionen einstellen zu können. Sanktionen und Waffenlieferungen sollen aber auch einen anderen Effekt haben. Eine geschwächte russische Wirtschaft und zahlreiche Tote sollen auch im Inland Druck auf Putin ausüben. Zu Beginn gab es auch noch Proteste gegen den Krieg. Doch die Propagandamaschine läuft auf Hochtouren, und Protest ist in einer immer repressiveren Diktatur nahezu unmöglich.
Wenn wir aber weiterhin der zu Beginn des Krieges postulierten Formel „Putin ist nicht Russland“ vertrauen, könnte die russische Zivilgesellschaft dann nicht doch der Schlüssel zur Lösung des Konfliktes sein?
Und hier setzt auch meine Kritik an der Bundesregierung an. Ich stimme der Aussage „demokratische Werte verteidigen“ ja zu – und ja, ich halte Russland für eine Diktatur und nicht für eine Demokratie – aber wo bleibt denn die überzeugende Charming-Offensive des Westens um die Herzen der Russ:innen? Welche unserer Werte sind denn die entscheidenden Vorteile in der Konkurrenz der Systeme? Wann und wo werden russische Oppositionelle unterstützt und gefeiert? Warum werden unsere Partnerschaften mit russischen Städten „auf Eis gelegt“, statt sie als Kanäle für unsere Propaganda zu nutzen?
Ein Russland unter Putin wird nicht zu besiegen sein. Es gilt zudem, dass ein Frieden nur mit(!) Russland erreicht werden kann. Höchste Zeit also demokratische russische Kräfte zu stärken, ob in Russland oder im Exil. Mag sein, dass die Diplomatie im Geheimen an guten Plänen arbeitet, nach außen hin wirkt die deutsche Außenpolitik in Sachen Ukraine recht einfallslos. Das unsere Außenministerin resolut kann, hat sie bewiesen. Dass unser Verteidigungsminister Panzer schicken kann wissen wir nun auch. Doch ich wünsche mir, dass unsere Bundesregierung ihre Sache nicht schlechter oder besser als vorherige macht, sondern ich wünsche mir dass sie es anders macht!
Putin wird diesen Krieg beenden müssen, wenn die Bevölkerung nicht mehr hinter ihm steht, und dies auch deutlich macht. Dazu bedarf es keiner Heldentaten, sondern einer tiefen inneren Überzeugung jedes Einzelnen in der Mehrheit der russischen Bevölkerung. Es „genügt“ (und dies ist freilich schwer genug) wenn eine kritische Masse den Worten Wolfgang Borcherts folgt: Sag NEIN!
Ich wünschte, ich könnte dir folgen. Aber der Hybris des toxisch-männlichen Gewaltdiskurses ist auch die demokratische Bewegung Russlands nicht gewachsen. Auch sie wird standrechtlich erschossen.
Auch der deutsche Widerstand konnte nichts gegen den Faschismus ausrichten. Ohne robuste Unterstützung der Völkerrechtsordnung wird es nicht gehen.
Waffen zur Selbstverteidigung? Ja.
Mit Putin Frieden schließen? Wohl kaum möglich.
Bei der aktuellen deutschen Außenpolitik fehlt mir vollkommen eine Exit-Strategie aus der Gewalt-Spirale. Zumindest wird sie nicht kommuniziert. Auch vermisse ich das Zugehen auf die russische Zivilbevölkerung. Meines Erachtens nach wäre noch viel mehr möglich als Sanktionen und Waffenliefern. Beides will ich (leider) nicht in Frage stellen, aber mit fehlt zusätzlich(!) noch eine aktive Friedenspolitik.
Apropos Widerstand gegen Faschismus. Der militärische Widerstand der Allierten gegen Hitler wurde begleitet von zahlreichen zivilen Maßnahmen. Nehme nur Thomas Mann in der BBC, oder die Kriegsflugblätter der Anti-Hitler-Koalition. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/kriegsflugblaetter-der-anti-hitler-koalition-im-zweiten-weltkrieg.html